Irmela Wiemann. Adoption, Pflegekinder, Biografiearbeit – Artikel ab 2003


Pflegeeltern bekommen nicht einfach ein Kind – sie bekommen besondere Herausforderungen dazu!
Chancen und Hilfen für junge und erwachsene Pflege- und Adoptivkinder und ihre Familien

in: Psychotherapeutenjournal 3/2023, Seite 279 - 284

Sabine Ahrens-Eipper im Gespräch mit Irmela Wiemann

Sabine Ahrens-Eipper (PTJ): Sehr geehrte Frau Wiemann, Sie sind Autorin von Büchern und Artikeln rund um Fragen, die Pflege- und Adoptivkinder und ihre Familien beschäftigen. Sie sind Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und Familientherapeutin. Und auch Mutter, Pflegemutter und Großmutter. Wir freuen uns sehr, dass Sie sich zu einem Interview bereit erklärt haben! – Was hat sie 1991 zum Schreiben Ihres allerersten Buches »Pflege- und Adoptivkinder« bewogen?

Irmela Wiemann: 1978, nach der Aufnahme unseres damals 12-jährigen Pflegesohns in unserer Familie, fragte mich der Pflegekinderdienst, mit dem wir als kommunale Erziehungsberatungsstelle zusammenarbeiteten, ob ich bereit wäre, Fortbildungen für Pflegeeltern zu gestalten. Seitdem ergab es sich, dass ich mich auf die Beratung von Pflege-, Adoptiv- und Herkunftsfamilien spezialisierte. Später kamen auch Kinder in Wohngruppen, Kinderdörfern und Heimen hinzu. Ich hielt über Jahre zahlreiche Workshops und Seminare für betroffene annehmende Eltern, für Fachkräfte und später auch für Herkunftseltern. Meine Erfahrungen wollte ich dann 1991 in meinem ersten Buch weitergeben. Ich wies darauf hin, dass auch bei sicherer Bindung an die Pflege- und Adoptiveltern die leiblichen Eltern für die Kinder von großer Bedeutung bleiben.



Beziehung vor Erziehung
Heilende Alltagspädagogik für traumatisierte Kinder

in: Dr. med. Mabuse 261 (2023), Seite 54 - 56

Sind Kinder und Jugendliche in der Schule und in ihrem sozialen Umfeld auffällig, stören oder neigen zu aggressivem Verhalten, wird dies häufig sanktioniert. Dieses Verhalten kann aber möglicherweise auf ein Trauma hindeuten. Unsere Autorin berichtet, auf welche Weise die Traumapädagogik in solchen Fällen helfend zur Seite steht.

Die noch junge Fachrichtung der Traumapädagogik wurde ursprünglich für Kinder und Jugendliche in der Heimerziehung entwickelt (vgl. Lang u.a. 2013). Sie ist eine auf Vertrauen und sicherer Bindung basierende Alltagspädagogik, die davon ausgeht, dass jedes Kind einen „guten Grund“ für sein „abweichendes Verhalten“ hat. In der Heimerziehung, in Familie, Kindergarten und Schule wird dieses von den Bezugspersonen als unangemessen erlebte Verhalten häufig mit Sanktionen und dem Entzug von Privilegien beantwortet.

Doch traumatisierte Kinder lernen etwas anderes, als die Bezugspersonen beabsichtigen, nämlich: Ich darf niemandem vertrauen; die lieben mich kein bisschen, wenn sie mich so bestrafen. Sanktionen schaden traumatisierten Kindern und blockieren ihre Möglichkeiten, Vertrauen in sich selbst und andere Menschen aufzubauen, zu heilen und sich von den frühen seelischen Verwundungen zu erholen.



Aufwachsen in einer Pflegefamilie oder Rückkehr in die Herkunftsfamilie:
Was entspricht dem Kindeswohl aus psychologischer Sicht?

in: RPsych Rechtspsychologie,Seite 513 - 532, RPsych,Jahrgang 6 (2020),Heft 4,

Zusammenfassung
Seit den 1990er Jahren gibt es unterschiedliche Positionen in der sozialen, psychologischen und rechtswissenschaftlichen Fachwelt über den Grad der Zugehörigkeit eines Kindes zur Pflegefamilie oder zur Herkunftsfamilie, über die Gestaltung von Umgangskontakten und zum Thema Rückkehr in die Herkunftsfamilie. Schon bei Kindern, die in ihrer Pflegefamilie groß werden, gibt es trotz hoher Bindungskontinuität viele strukturell in dieser Hilfeform angelegte Belastungen. Damit Pflegekinder eine stabile Identität entwickeln und später ein geglücktes Erwachsenenleben führen können, bedarf es spezifischer Kompetenzen von Fachpersonen und Pflegeeltern. Die Voraussetzungen für eine Rückkehr des Kindes in die Herkunftsfamilie sind ebenfalls sehr komplex. Familiengerichte und Jugendämter gestalten Rückführungen oftmals auf Kosten der Kinder. Für viele Kinder ist eine Übersiedlung zur Herkunftsfamilie nicht mehr von primärem Interesse, selbst wenn sich die Lebensbedingungen bei den Eltern nachhaltig verbessert haben. Ein Wechsel von Lebensmittelpunkt und Familie nach mehreren Jahren ist meist nur möglich, wenn Mutter oder Vater während der Fremdplatzierung vertraute Bindungspersonen geblieben oder geworden sind. Nach der „Wiedervereinigung“ stehen Kinder und Herkunftsfamilien vor großen Herausforderungen. Der Umgang zur bisherigen Pflegefamilie und anderen vertrauten Menschen muss langfristig gesichert bleiben.

Abstract
Since 1990 perspectives among social, psychological and legal experts differ regarding the extent to which a child belongs to its foster care family or to its family of origin, regarding visiting arrangements with the family of origin and as to whether a foster child should permanently return to its origin family. Even children who grow up in a foster family and therefore experience high continuity of attachment, are affected by the structural pressures embedded in this kind of public assistance. In order to enable foster children to develop a stable identity and to live a contented adult life, professionals and foster parents require specific competencies. Requirements for a child’s successful return to its origin family are also highly complex. Family courts and youth welfare services often organise this at the expense of the children. For many children return to the family of origin is no longer of primary interest, even where the circumstances of their biological parents have stabilised sustainably. Changing families after several years is usually only possible in cases where biological parents maintained or developed a consistent bond of trust while the child was living in foster care. Following a reunification, children and their families of origin are confronted with considerable challenges. Ongoing contact with the former foster family and other trusted persons should be enabled for the long term.


Frühe Trennung im ersten Lebensjahr – eine Grenzsituation
Säuglinge, Kleinkinder, Eltern und neue Bindungspersonen verstehen und begleiten

in Karl Heinz Brisch (Hrsg.): Familien unter HOCH-STRESS – Beratung, Therapie und Prävention für Schwangere, Eltern und Säuglinge in Ausnahmesituationen. Klett-Cotta, Stuttgart, 2019

Vorbemerkung

Wird die Trennung der Lebenswelten von Mutter (Vater) und Kind im ersten Lebensjahr notwendig, so bedeutet dies nicht nur „Hochstress“ für das Baby und seine Eltern sondern es entsteht ein existentieller Riss, eine tiefe Verwundung in dem kleinen Menschen und bei seinen Eltern, der nie mehr ganz heilen wird, mit dem die betroffenen Menschen lernen müssen, zu leben. Auch die neuen Bindungs- und Bezugspersonen der Kinder bekommen diese seelischen Verletzungen der Kinder zu spüren. Sie bedürfen der Unterstützung, Schulung und Beratung, um mit den Folgen früher Trennungen, wie z. B. Bindungsangst und Traumafolgereaktionen liebevoll und ressourcenorientiert umzugehen und die jungen Menschen zu stärken.

Seit 1972 habe ich hunderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene beratend und therapeutisch begleitet, die als junge Kinder oder schon als Neugeborene von ihren Eltern getrennt wurden und als Adoptiv-, Pflege- oder als Heimkinder aufgewachsen sind. Die meisten kostet es von klein an viel psychische Energie, diesen frühen Verlust in ihr Leben zu integrieren.

Die Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe, für das Kind die Weichen zu stellen
[…]
Die Lebenssituation der Herkunftseltern
[…]
Inobhutnahme und Unterbringung in einer Kriseneinrichtung (Übergangspflege, Bereitschaftspflege)
[…]
Die Wirkung der frühen Trennung auf das Kind
[…]
Frühe Trennung und Psychotrauma
[…] Welten- und Bezugspersonenwechsel: erschwerte Identitätsfindung
[…]
Weiche Übergänge für das Kind zu einem neuen Lebensort gestalten
[…]
Mit Babys sprechen
[…]
Heimkehr in die Herkunftsfamilie
[…]
Die Aufnahme in einer Pflege- oder Adoptivfamilie

Hilfe zur Erziehung: Verwandtenpflege
[…]
Die Aufgaben von Pflegefamilien
[…]
Die Situation von Adoptivfamilien
[…]
Was brauchen die Kinder von ihren neuen Eltern?
[…]
Schlussgedanke (Zusammenfassung)
[…]

Das Leid wird unterschätzt

in az Aargauer Zeitung, 15. August 2018 S. 4, Aarau, Schweiz

Adoption Die Tragweite einer Entwurzelung sei lange nicht erkannt worden, sagt die Expertin

von Annika Bangerter

Ein Bericht aus dem Kanton St. Gallen zeigt: Obwohl der Schweizer Botschafter in den 1980er-Jahren vor Babyhandel in Sri Lanka warnte, stoppten die Behörden die Adoptionen nicht (die «Nordwest-schweiz» berichtete). Psychologin Irmela Wiemann erklärt, weshalb das Wissen über die eigenen Wurzeln derart wichtig ist – und was es für Betroffene einer illegalen Adoption heißt, wenn sie ihre Angehörigen nicht finden können.

Frau Wiemann, der Adoptionsskandal in Sri Lanka holt die Schweiz fast vierzig Jahre später ein. Weshalb erst jetzt?

Irmela Wiemann: Weil erwachsene Adoptierte bei ihrer Suche auf Widersprüche stoßen. Viele machen sich erst mit weit über 30 Jahren auf den Weg, die leiblichen Angehörigen ausfindig zu machen. Denn das ist ein enorm anstrengender und psychisch schmerzhafter Prozess. Vorgängig müssen viele Ängste und Unsicherheiten überwunden werden. Adoptierte sind oftmals schon ein größeres Stück ihres Lebensweges gegangen, bevor sie sich auf die Suche nach ihren Wurzeln machen. Bei Frauen löst nicht selten auch die Geburt eigener Kinder das tiefe Bedürfnis aus, die leibliche Mutter kennen zu lernen.

Sind die Dokumente gefälscht, lassen sich die Angehörigen nicht finden. Was löst das aus?

Eine unglaublich tiefe Verzweiflung. Wir kennen das auch von Kindern, die in Babyklappen gelegt oder anonym geboren worden sind. Ist die Suche zusätzlich mit langen Reisen und dem Erfassen einer neuen Kultur verbunden, braucht es sehr viel Kraft, einen solchen Rückschlag zu verarbeiten. Viele geben aber nicht auf. Ich kenne erwachsene Adoptierte, die fanatisch weitersuchen, im Internet Millionen von Hinweisen nachgehen – und nichts anderes mehr machen. So schwierig die Situation ist, müssen sie lernen, irgendwann einen Schlussstrich zu ziehen.


Herkunftssuche und Begegnung:
ein bewegender und aufwühlender Prozess

Netz Spezial 1/2018, Zürich
Nachdruck in mittendrin, Zeitschrift des Bundesverbandes behinderter Pflegekinder e.V., Papenburg, Heft 4/2018

Vorbemerkung

Die Vorbereitung auf die spätere Suche und das Wiederfinden der leiblichen Mutter, des leiblichen Vaters oder der Geschwister beginnt bereits zum Zeitpunkt der Adoptionsvermittlung des Kindes. Adoptiveltern haben zwei Aufträge: Zum einen, für das Kind Eltern wie in anderen Familien auch zu sein, und zum anderen, ihm beizustehen, sein Schicksal – in Trauer – anzunehmen, von den ersten Eltern getrennt worden zu sein. Wenn die Adoptiveltern dem Kind das Gefühl vermitteln, dass aus seinen beiden Familien ein wertvolles Ganzes wurde, dann können Kinder ihr Adoptionsschicksal gut bewältigen, schon lange bevor es zu einer Suche und Begegnung kommt.

Die psychischen Prozesse des Suchens und Wiederfindens sind so aufregend, hochkompliziert, beunruhigend und oft auch verwirrend, dass die Beteiligten professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen sollten. Durch ihre tägliche Konfrontation mit adoptionsspezifischen Fragen sind die Fachkräfte der Adoptionsfachstellen am besten geeignet, Rollen und Gefühle zu ordnen, Ansprüche und Erwartungen zu gewichten. Leider wird in Zeiten von Facebook, Twitter und Co diese fachliche Unterstützung von vielen jungen Menschen nicht mehr angenommen. Die jungen Menschen – oft auch die Adoptiveltern – geraten ohne fachliche Begleitung jedoch oftmals in Rollen- oder Loyalitätskonflikte und eine Vielzahl von verwirrenden Situationen.
Warum suchen Menschen nach ihrer Herkunft?
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Die Bedeutung der Herkunftsfamilie für Adoptierte
Der Kummer, die erste Mutter verloren zu haben
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Identitätsfindung und Selbstwert
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Adoptierte in der Pubertäts- und Jugendkrise
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Vor der Suche
Worauf sollten junge Menschen vorbereitet werden?
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Vorbereitung der annehmenden Eltern auf die Suche des jungen Menschen
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Vor der Begegnung
Die Erwartungen des jungen Menschen klären
[…]

Die Erwartungen der Herkunftseltern klären
[…]

Die erste Begegnung
[…]

Wie geht es weiter?
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Wenn Geschwister einander suchen und treffen
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Wenn Adoptierte nicht nach ihren Wurzeln suchen wollen
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Wenn Menschen keine Möglichkeiten haben, die Identität ihrer Mütter oder Väter herauszufinden
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Leben mit vertrauten Menschen
Verwandtenpflege als Hilfe zur Erziehung

frühe Kindheit 05/17, Berlin

Das Thema der Großeltern- und Verwandtenpflege ist Ausgestaltung von Nähe, das Thema der Fremdpflege Überwindung von Fremdheit (Blandow 2008, S. 1).

Wenn Eltern ausfallen, dann springen weltweit in armen oder auch in reichen Familien Verwandte ein, um das Kind zu versorgen. Meist sind es die Großeltern, die ihr Enkelkind aufnehmen, oftmals aber auch Onkel und Tanten oder Verwandte im weiteren Familienkreis. Verwandtenpflege ist also weltweit gesehen wesentlich stärker vertreten, als die institutionell geregelte „Fremdpflege“.
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Belastung oder Chance? Kontakte von Pflegekindern zu ihrer Herkunftsfamilie

in PFAD Fachzeitschrift für die Pflege- und Adoptivkinderhilfe, Jg. 31,   Heft 2/2017, S. 7-11, zu bestellen beim Schulz-Kirchner Verlag: www.schulz-kirchner.de  E-Mail:  info@schulz-kirchner.de

„Kontakte zur Herkunftsfamilie“ ist eines der kompliziertesten Themen im Pflegekinderbereich. Während meiner langjährigen Beratung von Pflege- und Herkunftsfamilien und bei Begegnungen auf Fortbildungen habe ich tausende von Pflegeeltern-Kind-Herkunftseltern-Systeme erlebt. Viele Besuchskontakte verliefen konfliktreich, andere sehr befriedigend für die Kinder.

Die Rechtslage
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Die Bedeutung der Herkunftsfamilie für die Kinder
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Die innere Haltung der Pflegeeltern zur Herkunftsfamilie
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Was brauchen die Kinder vor und nach dem Umgang?
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Anleitungen für das Kind – ein Baustein zur Bewältigung der Realität
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Die Balance zwischen Herkunftsfamilie und Pflegefamilie
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Welche Häufigkeit von Kontakten ist sinnvoll?
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Der Ausschluss von Umgangsrechten
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Inkongruentes Verhalten
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Anleitungen für Besuchseltern
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Wenn Wenn Pflege- und Adoptivkinder erwachsen werden

in PFAD Fachzeitschrift für die Pflege- und Adoptivkinderhilfe, Jg. 30,   Heft 3/2016, S. 11-12, zu bestellen beim Schulz-Kirchner Verlag: www.schulz-kirchner.de  E-Mail:  info@schulz-kirchner.de

Die Jugendzeit ist für alle jungen Menschen anstrengend. Körperliche Umbrüche gehen einher mit starken psychischen Turbulenzen. Heranwachsende stellen sich die bange Frage, welchen Platz sie im Leben einnehmen können. Auch wenn Jugendliche das Leben ihrer Eltern kritisch hinterfragen, sind sie zutiefst auf die Zuneigung und Akzeptanz von diesen angewiesen.

Junge Menschen in Adoptiv- und Pflegefamilien tragen zusätzlich einen speziellen Rucksack. Die einen setzen sich schon früh mit ihrem Zusatzgepäck auseinander. Andere fliehen vor diesem Schmerz. Jede Strategie hat ihre Berechtigung.



Kinder mit zwei Familien

in Blickwechsel Adoption, ein Magazin des Bundesfamilienministeriums, Berlin, August 2016

Was Adoptiveltern über die leiblichen Eltern erzählen, beeinflusst wesentlich die emotionale Entwicklung von Kindern.

Ob offen, halboffen oder inkognito – ein sensibles Thema ist eine Adoptionsfreigabe in jedem Fall. „Es ist immer eine Entscheidung aus einer Notlage heraus“, sagt Irmela Wiemann. „Häufig schämen sich die Frauen dafür, manche Mütter erzählen sogar ihrem sozialen Umfeld, das Kind sei gestorben. Viele möchten deshalb nach der Freigabe ihres Kindes zur Adoption anonym bleiben und wünschen sich eine InkognitoAdoption.” Die Vermittlungsstelle wird dann im Vermittlungsverfahren darauf verweisen, dass die leibliche Mutter keinen Kontakt wünscht. Allerdings hindert dies die Adoptiveltern nicht, über die amtlichen Register Kenntnis der Identität der leiblichen Mutter zu erlangen.



Man bekommt kein unbeschriebenes Blatt

in FORUM – DAS WOCHENMAGAZIN, 4. März 2016 S. 32-35, Saarbrücken
Nachdruck in PFAD AKTUELL, Zeitschrift des Landesverbandes der Pflege- und Adoptivfamilien in Bayern e. V., Aichach, Heft 1/2019

Die Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und Familientherapeutin Irmela Wiemann ist Spezialistin für Adoption und Autorin mehrerer Bücher zu dem Thema. Im Interview spricht sie über den besonderen Schmerz in Adoptivfamilien, die Probleme von adoptierten Kindern und warum man ein Kind so früh wie möglich über seine Herkunft aufklären soll.

Das Interview führte Heike Sutor.

Frau Wiemann, haben Sie selbst auch adoptierte Kinder?

Ich habe einen Pflegesohn, er war zwölf, als wir ihn aufgenommen haben. Das war mit ein Auslöser, dass ich mich dem Thema „angenommene Kinder“ zugewandt habe.

Haben Sie auch leibliche Kinder?

Ja, einen Sohn. Von beiden Söhnen habe ich auch mittlerweile insgesamt vier Enkelkinder. Selbst bei den Enkelkindern setzt sich der Unterschied noch fort. Die einen, die nicht leiblichen, waren traurig, als sie kleiner waren. Sie fragten: Aber unsere Oma bist du doch trotzdem? Ich musste ihnen dann erklären, dass das eine die gefühlsmäßige und das andere die leibliche Großelternschaft ist.

Das Thema Adoption setzt sich also bis in die nächste Generation fort?

Ja. Es gibt interessante Forschungen darüber. Zum Beispiel haben erwachsene Adoptierte Kinder interviewt, deren Eltern auch adoptiert worden waren, und sie gefragt, ob sie das gespürt haben. Alle haben gesagt, sie hätten das gespürt, dass man ihre Eltern von deren leiblichen Eltern getrennt hatte, dass sie irgendwann einen tiefen Kummer erlebt haben.



Die Vorgeschichte des Pflegekindes in Trauer annehmen:
Wie kann dies gelingen?

Blickpunkt Pflegekinder 3, Dezember 2015, Hamburg

IN FRÜHEREN JAHREN wurde Pflegeeltern oft verschwiegen, was das Kind alles erlebt hat, bevor es zu den Pflegeeltern kam. Pflegeeltern, die zu wenig über die Vorgeschichte wissen, fühlen sich oft hilflos. Heute wird ihnen von den meisten Pflegekinderdiensten mitgeteilt, was dem Jugendamt an Informationen bekannt ist. Pflegeeltern werden in die Schweigepflicht mit eingebunden. Wer gut informiert ist, kann Verhaltensweisen des Kindes besser verstehen und ihm seine Biografie nahe bringen. Dennoch kennen auch die Fachkräfte im Jugendamt nicht alle Ereignisse aus dem Leben von Herkunftseltern und Kindern. Die Buchautorin und Referentin IRMELA WIEMANN beschreibt, wie wichtig neben der Kenntnis der Fakten auch die innere Haltung dazu ist.

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Eine neue Generation von Adoptiv- und Pflegeeltern stellt für das Kind durch Biografiearbeit oder in der Realität Verbindung zur Herkunftsfamilie her

frühe Kindheit 04/14, Berlin

Prof. Dr. Jörg Maywald im Gespräch mit Irmela Wiemann, Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und Familientherapeutin in Weinbach

Maywald: Warum ist es für das Wohlbefinden und die seelische Gesundheit von Menschen so wichtig, ihre verwandtschaftliche Herkunft und ihre Familiengeschichte zu kennen?

Wiemann: Leibliche Angehörige zu kennen, gibt vielen Menschen ein Stück innere Sicherheit. Viele möchten ergründen und wissen, warum sie fortgegeben wurden. Sie wollen die damit verbundene Kränkung überwinden. Und sie wollen sich selbst komplettieren. Besonders die Suche nach Geschwistern hilft bei der Identitätsfindung. Sie möchten Informationen über ihre konstitutionellen, charakterlichen, gesundheitlichen Bausteine. Wenn es gelingt, die leiblichen Eltern ausfindig zu machen und ihnen zu begegnen, so tritt für viele Adoptierte ein Stück Beruhigung und Entlastung ein. Viele können ihr Schicksal nach einer Begegnung mit Elternteilen oder Geschwistern besser annehmen. Schon junge Kinder, die nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen können, fragen sich: Wer bin ich? Wem gleiche ich? Warum wollte meine Mutter mich nicht? Bin ich selbst schuld daran? Sie wollen zwei Lebensthemen ergründen: Warum musste ich von meiner Familie fort? Und wer und wie bin ich als Teil dieser Herkunftsfamilie? Hier geht es um die Ich-Identität, das Selbstkonzept, das sich für jeden Menschen zusammensetzt aus dem, was die Umwelt spiegelt und aus dem, was man an genetischen oder biografischen Bausteinen mitbekommen hat. Aber nicht alle Menschen, die getrennt wurden, suchen nach ihren Angehörigen. Sie haben für sich einen anderen Weg gefunden, ihr Schicksal anzunehmen.
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Mit dem Kind in Verbindung bleiben
Frühe Verlusterfahrungen und Autonomiestreben von Adoptivkindern

in Bindung eingehen – sich zugehörig fühlen, Themenheft Nr. 5, 2014 Herausgegeben von der Schweizerischen Fachstelle für Adoption (jetzt: PACH Pflege- und Adoptivkinder Schweiz), Zürich

»Wir sehen im Bekanntenkreis häufig Kinder, die ähnliche Auffälligkeiten haben, wie unsere Adoptivkinder.« Wer so spricht, hofft, die Adoption möge vielleicht doch nicht so viel Einfluss auf das Verhalten der Kinder haben, wie häufig angenommen. Ich rate Adoptiveltern, dies gar nicht erst klären zu wollen.

Jeder kleine Mensch ist einmalig und ein Ergebnis genetischer Faktoren einerseits und von Umweltbedingungen (auch vorgeburtlichen) andererseits. Und wer weiß denn, ob das Kind der befreundeten Familie sich vielleicht schon früh überwältigt gefühlt hat und nun als Folge das Verhaltensrepertoire eines seelisch verletzten Kindes zeigt? Wir helfen weder uns selbst noch den angenommenen Kindern, wenn wir die Einflüsse der Adoption für unbedeutend erklären wollen. Sie sind da, egal ob sichtbar oder unsichtbar, ob mehr oder weniger spürbar. Sie müssen ins Leben eingebaut werden, so oder so.
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Betreuungspraxis von Pflegefamilien mit Kindern in den ersten Lebensjahren

in Rüdiger Kißgen, Norbert Heinen (Hrsg.): Trennung, Tod und Trauer in den ersten Lebensjahren – Begleitung und Beratung von Kindern und Eltern. Klett-Cotta, Stuttgart, 2014

Was ist eine Pflegefamilie?

Eine Pflegefamilie ist eine Privatfamilie und zugleich Leistungserbringerin für das Jugendamt. Die öffentliche Jugendhilfe nutzt somit Ressourcen und Motive von Privatfamilien für die öffentliche Jugendhilfe. Zugleich entstehen emotionale, private Bindungen zwischen Kleinkind und Pflegeeltern und zu den Geschwistern in der Pflegefamilie. Kleinkinder, die in einer Pflegefamilie leben, fühlen sich in dieser Zuhause. Sie haben ihre leibliche Familie gegen die emotionale Familie ausgetauscht. Dennoch ist die Pflegefamilie nicht mit einer Privatfamilie gleichzusetzen. Sie erhalten Pflegegeld sowie einen kleinen Beitrag für den pädagogischen Aufwand. Pflegeeltern erhalten Pflegegeld sowie einen kleinen Beitrag für den pädagogischen Aufwand. Dazu sind sie verpflichtet, mit der Herkunftsfamilie zum Wohl des Kindes zusammenzuarbeiten. Durch Hilfeplangespräche und die Verpflichtung, gemäß §37 SGB VIII , »das Jugendamt über wichtige Ereignisse zu unterrichten, die das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen betreffen«, sind sich Pflegeeltern heute stärker im Klaren, dass sie nicht nur Privatfamilie sind, sondern eine Leistung für die Jugendhilfe erbringen.

Das Spektrum im Pflegekinderwesen wird in Deutschland vielfältiger. Am einen Ende der Verteilung gibt es die »adoptionsähnlichen Pflegeverhältnisse« ohne Rückkehrperspektive des Kindes. Am anderen Ende bewegt sich die Kurzzeitpflege oder Pflege »auf Zeit« mit dem Ziel der Reintegration in die Herkunftsfamilie.


Voraussetzungen für das Gelingen von Pflege und Adoption

in Traumatisierte Kinder, gewalttätige Jugendliche, hochstrittige Eltern
Lösungswege aus schwierigen Familienkonstellationen. Die Kinderschutz-Zentren, Köln, 2013

1. Vorbemerkung

Kinder aus heilen Familien kommen in der Regel nicht in eine Pflegefamilie. Pflegekinder und viele Adoptivkinder haben fast immer eine belastende Vorgeschichte, waren schon früh Stress- und traumatischen Erfahrungen ausgesetzt. Ihr Gehirn konnte bestimmte Entwicklungsschritte nicht in der dafür vorgesehenen Phase vollziehen, weil es früh mit Trennungen und Verlusten oder mit Gewalterfahrungen und Überlebenskämpfen befasst war. Reifungsprozesse verlaufen bei diesen Kindern ungleichmäßig und anders als bei Kindern, die als Kleinkinder sicher und geborgen aufwachsen konnten. Diese Kinder benötigen im Alltag eine besonders stressfreie Atmosphäre, damit sich ein schützender Verband um die frühen neuronalen Verwundungen legen kann. Dies verlangt eine ressourcenorientierte Erziehung, die Druck und Strafe vermeidet. Diesem Konzept einer ressourcenorientierten Pädagogik soll im zweiten Teil des Artikels viel Raum gegeben werden.

Gliederung
1. Vorbemerkung
2. Die Bedeutung der Herkunftsfamilie für Pflege- und Adoptivkinder
2.1. Selbstwert und Identitätsentwicklung
2.2. Ambivalenzbegleitung
2.3. Herkunftseltern verstehen lernen und achten
2.4. Wie sieht das innere Bild der Kinder von ihren Eltern aus?
2.5. Entlastung von Negatividentität
2.6. Entbindung aus Loyalitätskonflikten
2.7. Besuchskontakte zu den Eltern verträglich gestalten
3. Frühe Verlusterfahrungen und Autonomiestreben
4. Ressourcenorientierte Alltagspädagogik für traumatisierte Kinder
4.1. Grundmuster menschlichen Verhaltens nach Traumatisierung
4.2. Typische Verhaltensweisen seelisch verletzter Kinder
4.3. Traumatisierte Kinder und Schule
4.4. Traumatisierte Kinder, Kritik und Strafe
4.5. Förderung der kindlichen Selbstheilungskräfte
4.6. Trauma heilende Pädagogik
4.7. Biografiearbeit: Ein Beitrag zur Stabilisierung der Kinder
5. Zusammenfassung
6. Quellen und Literatur

Bert Hellingers »Lebenshilfe« – eine menschenfeindliche Pseudoheilslehre

Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewisssenschaft und Psychologische Medizin (ZPPM) 1/2013, Asanger-Verlag, Kröning

Zusammenfassung
Ausgehend von der Erfahrung, dass Laien seriöse Formen systemischer Simulationsverfahren (z.B. Familienskulptur) nicht von sogenannten Familienaufstellungen nach Hellinger unterscheiden können, zeigt der Artikel, auch anhand der Arbeit der Autorin, diese Unterschiede auf. Bei von Hellinger inspirierten Aufstellungen werden dem »Aufstellungsleiter« durch eine »höhere Macht« Lösungen eingegeben und die Stellvertreter dienen als »Medium«. Bert Hellinger legt seiner Arbeit ein dogmatisches Ordnungssystem zugrunde. Bei genauem Hinsehen handelt es sich bei seinem Welt- und Menschenbild um ein archaisches, antiemanzipatorisches, zerstörerisches Konzept. Mit seiner Relativierung von Gut und Böse entlastet er Täterinnen und Täter im Allgemeinen sowie Hitler und Deutschland von der Verantwortung für die Schrecken des NS-Faschismus.

Bert Hellingers „Life Help“ – A Destructive Pseudoreligion

Summary
Based on my experience, that non-professionals are not able to distinguish between reliable systemic simulation methods (e. g. family sculpting) and so-called family constellations according to Hellinger, this article points out the differences, as well by means of the authors work, as in general. In constellation works inspired by Hellinger the „facilitator” receives solutions from a „higher authority” and the so-called representatives act as a „mental medium”. Hellingers work is based on a dogmatic system of „hidden orders”. Actually, his vision of humanity and his worldview reveal an archaic, anti-emancipatory und destructive concept. By the relativization of good and evil Hellinger exculpates not only abusers in families but as well Hitler and Germany from the responsibility for the terror of Nazi fascism.

Mit den Eltern die Zukunftsperspektiven ihrer Kinder klären.

Blickpunkt Pflegekinder 3 Wissen, wo es lang geht: Perspektivklärung, Dezember 2012, Hamburg

Nach der Trennung von den Eltern eine präzise Einschätzung über die Verbleibensperspektive eines Kindes vorzunehmen, ist eine der schwersten Aufgaben für Fachkräfte. Menschliche Entwicklungen lassen sich nur schwer vorhersagen.
Manchmal ist früh klar: Die Kinder brauchen ein neues Zuhause. Manchmal zeigt sich erst im Laufe der Zeit, ob Mutter oder Vater wieder für die Kinder sorgen können. Und bei anderen wieder scheint klar: Die Kinder können nach
Lern- und Entwicklungsprozessen der Eltern wieder zurückkehren. Doch selbst hier kann es anders kommen. Irmela Wiemann, Buchautorin und gefragte Referentin, über die Bedeutung von Elternarbeit für die Perspektivklärung.

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Sie werden nie eine normale Familie sein

Gespräch mit Irmela Wiemann über Adoption – Aus: Nido, Heft 9/2012, München
Ergänzt mit einen Kommentar zur Diskussion um dieses Interview

Warum haben es Adoptivfamilien oft so schwer?

Weil es die Adoptivkinder schwerer haben. Sie bringen einen ganzen Rucksack von Zusatzsorgen mit. Der große Kummer darüber, von den leiblichen Eltern verlassen worden zu sein, ist für viele ein lebenslanges Thema. Nicht alle schaffen es, dies ihren Eltern zu verzeihen. Die Mehrheit der Adoptivkinder weist neben dem angeborenen Bedürfnis nach Bindung und Vertrauen ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Bindungsmisstrauen auf. Inzwischen wissen wir aus der Hirnforschung, dass sogar ein Neugeborenes spürt, wenn es von der Mutter getrennt wird. Ihre Identität zu finden, fällt Adoptivkindern schwer, besonders, wenn sie anders als die Mehrheit aussehen. Und oft kommen frühe Traumatisierungen und seelische Verletzungen hinzu, die dazu führen, dass sich ein Kind im Alltag komplizierter verhält. Etwa jedes zweite Adoptivkind zeigt Verhaltensauffälligkeiten, und auch als junge Erwachsene findet sich nur die Hälfte im Leben gut zurecht.
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Fremdplatzierte Kinder und ihre Geschwister

frühe Kindheit 02/12, Berlin, Themenheft Geschwisterbeziehungen

Fremdplatzierte Kinder sind junge Menschen, die getrennt von Mutter und Vater aufwachsen. Sie leben für eine gewisse Zeit oder bis sie erwachsen sind in einem neuen Zuhause. Nach der Trennung von ihren Ursprungsfamilien werden sie in Kinderdörfern, Heimen, Wohngruppen, in Pflege- oder Adoptivfamilien untergebracht. Die meisten fremdplatzierten Kinder sind in ihrer Ursprungsfamilie keine Einzelkinder, haben ältere oder jüngere leibliche Geschwister oder Halbgeschwister. Doch sie wachsen nicht mit diesen Brüdern oder Schwestern auf. Im Rahmen ihrer Fremdunterbringung werden sie voneinander getrennt. Es ist eher eine Ausnahme, dass Geschwisterkinder, die von ihren Eltern fort müssen, in Heimen, Kinderdörfern, in Pflege- oder Adoptivfamilien oder bei Verwandten gemeinsam groß werden. Wenn sie nicht als Einzelkinder aufwachsen, entwickeln sie in Pflege- oder Adoptivfamilien mehr oder weniger intensive Geschwisterbeziehungen zu den jungen Menschen, mit denen sie ihr Zuhause teilen, auch wenn sie genetisch nicht miteinander verwandt sind.

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Kontakte zur Herkunftsfamilie – ja, aber wie?

espoir Jahresbericht 2011, Zürich

Wozu dienen Kontakte?
Kontakte ermöglichen dem Kind, ein inneres Bild von Mutter oder Vater zu entwickeln. Durch Kontakte fühlt sich das Kind weniger verlassen. Kinder ohne Kontakte zur Herkunftsfamilie haben es schwerer, herauszufinden, wer sie selbst sind, fühlen sich einsamer auf der Welt. Das Kind, das zu vertrauten Menschen (auch Großeltern, Geschwistern) in Verbindung bleibt, kann neue Bindungen besser knüpfen. Kontakte dienen dem Erhalt von Verbindung und zugleich dem Aufbau neuer Bindungen.

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»Was kann bei so einem Papa schon aus mir werden?«
Über die Identitätsentwicklung von Pflegekindern

Netz 3/2011, Zürich, Themenheft Suche nach Identität – Entwicklungsaufgaben von Pflegekindern

Was bedeutet Identität im Leben von Pflegekindern, und was beeinflusst ihre Identitätsentwicklung? Welche Bedeutung hat die Beziehung zu den Herkunftseltern? Auf diese Fragen geht die Autorin ein und zeigt wie eine positive Identitätsentwicklung gelingen kann.

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Kurze Lebensphase mit großer Wirkung

in infoletter 2/2011, »10 Jahre Bereitschaftspflege in Stuttgart«. Stuttgart, 2011

Liebe Bereitschaftspflegeeltern, liebe Fachkräfte und alle, die die Stuttgarter Bereitschaftspflege unterstützen,

zum 10-jährigen Jubiläum der Stuttgarter Bereitschaftspflege gratuliere ich Ihnen sehr herzlich! Und ich freue mich, dass ich Sie in diesen 10 Jahren oft begleiten und stärken durfte, bei Ihrem schwierigen Auftrag, mit den Herkunftseltern der Kinder zusammenzuarbeiten, sich an die aufgenommenen Kinder zu binden und sie wieder freizulassen, häufig in eine hoffnungsvolle, manchmal aber auch in eine beunruhigende Zukunft. Ein Pflegekind beschrieb seine Situation so: »Wie sonst Jungtiere in Aufnahmestationen hochgepäppelt werden und dann ausgewildert werden, so machen die das mit mir«.
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Damit das Zusammenleben gelingt – Was brauchen Adoptiv- und Pflegekinder?

in Zwischen Traumkind und Trauma – Voraussetzungen für gelingende Beziehungen in Pflege- und Adoptionsfamilien. Die Kinderschutz-Zentren, Köln, 2011

Vorbemerkung

Nicht alle Kinder mit einem schweren Start ins Leben können die Bedürfnisse, Regeln und Anforderungen einer Familie und ihres sozialen Umfeldes ohne weiteres erfüllen. Die meisten Kinder, die nicht bei ihren Eltern bleiben konnten, waren häufig schon im Mutterleib und in der Zeit zwischen Geburt und Ankunft in der Adoptiv- oder Pflegefamilie Stresserfahrungen ausgesetzt. Pflege- und Adoptivkinder sind keine von ihrer Biografie losgelösten Geschöpfe, denen es nach der Integration in eine neue Familie an nichts mehr fehlt. Deshalb müssen Adoptiv- und Pflegeeltern von fachlicher Seite darauf vorbereitet werden, dass sie ganz anderes und mehr werden leisten müssen, als andere Eltern. Sie sollten bereit sein, diese Herausforderungen zu erkennen und zu akzeptieren.
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Biografiearbeit – was sie so hilfreich macht

in Themenheft »Pflegefamilien begleiten, bilden, vernetzen«, Mai 2010, Verein tipiti, Zürich

Viele Kinder und Jugendlichen, die nicht mehr in ihrer Familie leben können, spüren nicht genug sicheren Boden unter den Füßen. Oftmals fehlen ihnen einfache Basisinformationen. In Großbritannien steht deshalb gesetzlich jedem fremdplatzierten Kind die Gestaltung eines »Life Story Books« zu. Ein Lebensbuch, ausgestaltet mit Fotos oder gemalten Bildern und Texten kann Kindern und Jugendlichen verlorene Teile ihres Selbst wieder zugänglich machen. Sie erhalten einen »Beweis« ihrer Existenz und der Existenz ihrer Familie. Bewährt haben sich auch die Arbeit mit Symbolen wie Lebensbäumen, Lebensketten, Lebenslinien, Lebenswegen, auf denen wichtige Ereignisse dokumentiert werden. In der Biografiearbeit entsteht eine Dokumentation. Gedanken oder Gespräche verblassen oder werden umgedeutet. Was einmal »festgehalten« ist, hat eine andere Verbindlichkeit und Gültigkeit. ...


Gestaltung von Pflegeverhältnissen – was brauchen Pflegekinder und ihre Familien?

in unsere Jugend, 62. Jahrgang, Heft 6, Juni 2010, S. 242 bis 251, Ernst Reinhardt Verlag, München

»Wir können die Kinder aus ihren Familien nehmen, aber nicht die Familien aus den Kindern« (Portengen 2006)

Vorbemerkung

Laien gehen davon aus, das Aufwachsen eines Pflegekindes würde sich nicht weiter vom Aufwachsen anderer Kinder unterscheiden. Schließlich hat dieser kleine Mensch Familie, Bindung, ein privates Zuhause. Doch ehemaligen erwachsenen Pflegekindern gelingt es nur zur Hälfte, ökonomische Selbstständigkeit, gute Familienbeziehungen und gute Fürsorge für ihre eigenen Kinder zu verwirklichen (vgl. Kindler 2008). Sie haben ein erhöhtes Risiko, als junge Erwachsene delinquent, drogenabhängig oder psychisch krank zu werden oder im jungen Erwachsenenalter eines unnatürlichen Todes (vor allem durch Suizid) zu sterben. Junge Menschen, die in Risikofamilien aufgewachsen sind und nicht fremdplatziert wurden, tragen laut einer schwedischen Studie in etwa dasselbe Risiko (vgl. Vinnerljung, Ribe 2001).

Als Psychotherapeutin, die seit mehr als 30 Jahren Pflegekinder, Pflegefamilien und Herkunftsfamilien sowie die zuständigen Fachkräfte der Jugendämter berät und fortbildet, beschreibe ich hier die derzeitigen Gegebenheiten im deutschen Pflegekinderwesen und zeige, unter welchen Bedingungen Pflegekinder zu zufriedenen Erwachsenen heranwachsen können.
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Pflegefamilie und Herkunftsfamilie in Balance – Chance für das Pflegekind

in Blickpunkt Pflegekinder, Heft 1, März 2010, PFIFF gGmbH, Hamburg
Nachdruck in mittendrin, Zeitschrift des Bundesverbandes behinderter Pflegekinder e.V., Papenburg, Heft 2/2010
Nachdruck in PUZZLE, Zeitschrift des Erziehungsbüro Rheinland gGmbH, Köln, 2011
Nachdruck in PFAD AKTUELL, »Mein Kind, dein Kind, unser Kind«, 03 2015, Verbandszeitschrift des PFAD FÜR KINDER, Landesverband Bayern, Aichach

»Tue, was in deiner Macht steht, akzeptiere, was nicht in deiner Macht steht, und lerne den Unterschied zwischen beiden zu erkennen« (Marc Aurel zugeschrieben)

Wie gelingen Kooperationen zwischen leiblichen Eltern und Pflegefamilie? Mit welcher Haltung sollen die Pflegeeltern der Herkunftsfamilie begegnen? Die Buchautorin und gefragte Referentin Irmela Wiemann über die Herausforderung, Bündnisse zum Wohle des Kindes zu schließen

Pflegekinder können ihre Situation am besten bewältigen, wenn Pflegeeltern und Herkunftseltern einander respektieren. Ihr Selbstwert und ihre Antwort auf die Frage »Wer bin ich?« wird davon bestimmt, ob sie ihre leiblichen Eltern glücklich oder unglücklich lieben oder sogar hassen, ob sie sich ihrer schämen, ob sie um sie trauern und ob sie einordnen können, weshalb sie von ihnen fort mussten.

Dieses innere Bild entsteht durch Erfahrungen des Kindes mit den Eltern, z.B. im früheren Zusammenleben oder bei Kontakten. Zum anderen verinnerlichen Pflegekinder die Gefühle und Haltungen ihrer nahen Bindungspersonen. Die jungen Menschen haben ihre Mütter und Väter sowie ihre Pflegemütter und Pflegeväter innerlich repräsentiert. Sie tragen diese in sich. Wenn ihre inneren leiblichen Eltern und ihre inneren Pflegeeltern Krieg führen, so kostet dies junge Menschen nicht nur viel psychische Energie, es beeinflusst auch ihr Ja oder Nein zum Leben. Gibt es eine wie auch immer gelebte Balance zwischen den Familien, so gibt es Frieden im Innern der jungen Menschen.
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Wer hat das Kind in die Klappe gelegt?
Verfehlen Babyklappen ihren Zweck?

Fragen an die Familientherapeutin Irmela Wiemann Von Eva Baumann-Lerch Aus: Publik-Forum, Oberursel, Ausgabe 24/09

Frau Wiemann, der Deutsche Ethikrat hat empfohlen, die Babyklappen abzuschaffen. Was halten Sie von dieser Empfehlung?
Irmela Wiemann: Ich finde die Empfehlung des Ethikrates richtig. Denn Kinder, die in einer Babyklappe abgelegt wurden, leiden häufig ein Leben lang unter ihrer ungeklärten Herkunft. Und auch Mütter, die ihr Kind in einer akuten Krise in die Klappe bringen, können nicht überblicken, wie sehr sie später unter dieser Entscheidung leiden. Niemand hilft ihnen in ihrer schweren Lebenssituation. Außerdem weiß ja keiner, wer das Baby überhaupt in die Klappe gelegt hat. Möglicherweise geschah das Ganze gegen den Willen der Mutter. Das kann zum Beispiel bei Frauen passieren, die als Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution illegal hier leben. Die Babyklappe kann missbraucht werden, um kriminelle Handlungen zu vertuschen.
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Interview Wurzelreise »Ist mein Kind reif dafür?«
Alles was Sie über das erste Treffen mit der Herkunftsfamilie Ihres Kindes wissen sollten

Aus: PICCOlino, Heft 3/2009, Starnberg

Ein Treffen mit den leiblichen Eltern oder den leiblichen Müttern kann Kindern dabei helfen, ihren Kummer über das Fortgegeben-Sein zu mildern. Auch wenn ein Treffen mit der leiblichen Familie nicht möglich ist, weil sie vielleicht gar nicht bekannt ist, kann die Beschäftigung mit ihr eine zentrale Rolle für die Kinder spielen.

PICCOlino sprach mit Irmela Wiemann über das erste Treffen von Adoptivkindern mit ihrer leiblichen Familie und über die Bedeutung der Herkunftsfamilie, auch wenn sie nicht bekannt ist.

Das Interview führte Claudia Brehm.

PICCOlino: Frau Wiemann, in Ihrem Buch »Ratgeber Adoptivkinder« geht es unter anderem auch um ein erstes Treffen von Adoptivkindern mit den leiblichen Eltern im Kindesalter.

Wann ist das ideale Alter für ein erstes Treffen?

Irmela Wiemann: Das ideale Alter gibt es nicht. Das erste Treffen kann sehr früh sein, ich kenne Kinder die mit 4 oder 5 Jahren ein erstes Treffen erlebt haben und für die es sehr positiv und gewinnbringend verlaufen ist und es gibt andere Kinder, da würde ich ein Treffen erst viel später für sinnvoll halten.

Es gibt verschiedene Einflussfaktoren: Einer dieser Einflussfaktoren ist die innere Haltung, die Adoptiveltern gegenüber der leiblichen Mutter haben. Diese Haltung der Adoptiveltern sollte in etwa lauten: »Ja, die leibliche Mutter hat einen Platz im Leben unseres Kindes und gleichzeitig ist unsere seelisch-soziale Elternschaft zu unserem Kind nicht tangiert durch ein solches Treffen.« Wenn die Adoptiveltern sich in diesem Bereich nicht hundertprozentig sicher sind, kann das zu Irritationen führen. Ein weiterer Faktor ist die Erwartung der Adoptiveltern an die leibliche Mutter. In dem Moment, wo eine Adoption durch ein Treffen geöffnet wird, bekommt die leibliche Mutter (sehr selten auch die leiblichen Väter oder leibliche Elternpaare) eine bestimmte Verantwortung. Manche Mütter können diese Verantwortung aber gar nicht übernehmen und können sich nicht angemessen verhalten. Dann ist es wichtig, dass die Adoptivfamilie der leiblichen Mutter innerlich erlaubt »Ja, Du hast uns alle Verantwortung übertragen, wir sind jetzt 100% Eltern, und wenn Du jetzt nicht genug Verantwortung trägst, dann müssen wir das akzeptieren.« Bei einem Treffen muss die leibliche Mutter dennoch eine Teil-Verantwortung tragen, nämlich dafür, wie sie sich verhält, was sie dem Kind sagt, was sie dem Kind an Gefühlen zeigt. Hier kann sich nicht jede Mutter ideal oder wunschgemäß verhalten. In manchen Fällen ist daher auch von einem Treffen im Kindesalter abzuraten. Oder es braucht dann Adoptiveltern, die sehr viel auffangen. Deswegen ist der richtige Zeitpunkt im Leben des Kindes dann, wenn die Adoptiveltern innerlich reif für ein Treffen sind und sich das alles zutrauen.

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Auch Eltern ohne Kinder bleiben Eltern
Beratungsprozesse mit Herkunftseltern

Mitarbeit Eva Ris
Entwurf eines Beitrags in
Heinz Kindler/Elisabeth Helming/Marion Küfner/Thomas Meysen/Karin Jurczyk (2010) (Hrsg.): Handbuch Pflegekinderhilfe. München: DJI

Nachdruck der Kapitel 1 bis 4 in PFAD AKTUELL 02/2010, PFAD FÜR KINDER Bayern (Hrsg.), Aichach

Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Herkunftselternarbeit – ein Beitrag zur Stabilisierung der Kinder
3. Die Lebenssituation von Herkunftseltern
4. Inhalte und Ziele der Arbeit mit Herkunftseltern
5. Interventionstechniken – Methoden
5.1. Haltungen in der Arbeit mit Herkunftseltern
5.2. Therapeutisch angeleitete Gruppenarbeit mit Herkunftseltern
5.3. Die vier Dimensionen der Elternschaft
5.4. Familienskulpturen
5.5. Innere Ansprachen, Üben von Dialogen, Rollenspiele
5.6. Merkzettel, »Leitfäden« formulieren, Briefe verfassen
6. Themen und konkrete Beispiele von Beratungsprozessen
6.1. Übernahme der Verantwortung für die Anlässe, die zur Fremdplatzierung des Kindes geführt haben
6.2. Beauftragung des Kindes, in der Pflegefamilie leben zu dürfen
6.3. Mit Kindern über die Gründe der Fremdunterbringung sprechen
6.4. Klarheit über die eigene Rolle im Leben des Kindes gewinnen
6.5. Sinn und Zweck von Besuchskontakten
6.6. Beratung von Müttern (Vätern) mit Rückkehroption ihres Kindes
7. Grenzen der Herkunftselternarbeit
8. Ausblick

Biografiearbeit mit Adoptiv- und Pflegekindern

in Christiana Hölzle, Irma Jansen (Hrsg.): Ressourcenorientierte Biografiearbeit. Grundlagen – Zielgruppen – Kreative Methoden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2009

Viele Kinder, die ihre leiblichen Familien verlassen mussten, empfinden Verwirrung und unspezifischen Schmerz über ihre Vorgeschichte. Natürlich ist es ein grundlegender Unterschied, ob ein Kind in einer Pflegefamilie oder in einer Adoptivfamilie lebt. Für das adoptierte Kind tragen die emotional-sozialen Eltern auch die rechtliche und ökonomische Verantwortung. Das Kind ist erbberechtigt. Laut Gesetz sind die verwandtschaftlichen Verhältnisse zur Herkunftsfamilie erloschen, was aber nicht der psychischen Realität von Adoptivkind, Adoptiveltern und leiblichen Eltern entspricht. Kontakte zur Herkunftsfamilie sind auch heute noch, trotz der oftmals praktizierten offenen Adoption, beim Adoptivkind die Ausnahme.

Während die Adoptivfamilie eine Privatfamilie ist und gesetzlich anderen Familien gleichgestellt ist, erfüllen Pflegeeltern einen öffentlichen Auftrag und erbringen eine Hilfe zur Erziehung für die Herkunftseltern und das sie beauftragende Jugendamt. Sie erhalten Unterhalt für das Kind und ein kleines Honorar für ihre pädagogischen Leistungen. Es gibt eine große Bandbreite von Formen der Familienpflege. Am einen Ende des Spektrums haben wir adoptionsähnliche Dauerpflegeverhältnisse. Wenn das Kind jung in die Pflegefamilie kam, erhält es elterliche Bezugs- und Bindungspersonen. Am anderen Ende des Spektrums gibt es Pflegeverhältnisse auf Zeit: Das Kind soll in einem absehbaren Zeitraum wieder in seine Herkunftsfamilie zurückkehren. ...

Die Bedeutung der Gestaltung der Kennenlernphase von Adoptionsbewerbern und Kindern im Herkunftsland für das weitere Eltern-Kind-Verhältnis, insbesondere für den Beziehungsaufbau. Ausführungen aus psychologischer Sicht für die Zentrale Adoptionsstelle Berlin-Brandenburg (ZABB):

in Informationen über die Adoption eines Kindes, 2008, Herausgeber: Landesjugendamt Brandenburg, Zentrale Adoptionsstelle Berlin-Brandenburg

Inhalt:

Vorbemerkung
Der Aufbau der Beziehungen in einer Adoptivfamilie
Die Ausgangssituation
Zusammenleben in der Adoptivfamilie und soziales Umfeld
Folgen von fehlenden Bindungspersonen und Deprivation in der frühen Kindheit auf die spätere Persönlichkeit des Kindes
Risikofaktoren und Resilienz
Was bedeuten die Ergebnisse von Resilienz- und Hospitalismusforschung für das Verfahren bei Auslandsadoption?
Wirkungen einer abrupten Übergabe auf die spätere Familiendynamik und die spätere Persönlichkeit des Kindes
Folgen eines abrupten Umgebungswechsels auf das kindliche Gehirn
Der Anbahnungsprozess: Vertraut werden von künftigen Eltern und Kind
Was geht während der Anbahnungszeit im Kind vor?
Wie geht es den Adoptionsbewerbern während der Anbahnung?
Wenn beim ersten Kontakt Ambivalenzen auftreten
Nein sagen muss erlaubt werden
Die Gestaltung eines guten Anbahnungsprozesses bei Adoptivkindern aus dem Ausland
Warum ein langsamer Anbahnungsprozess von großer Bedeutung ist
Vorbereitung des Kindes
Erstes Zusammentreffen von Kind und Adoptiveltern
Weitere Kontakte
Notwendigkeit der Reflektion zwischen den Kontakten
Vertrautes mitnehmen ins neue Leben
Schlussbemerkung
Literaturhinweise

Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen: Brücken bauen, Verluste ins Leben integrieren

in FoRuM Supervision, 16. Jahrgang, Heft 32, Oktober 2008, Fachhochschulverlag, Frankfurt in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Supervision e. V. (DGSv)
Nachdruck in PFAD AKTUELL 01/2022, PFAD FÜR KINDER Bayern (Hrsg.), Aichach

Zusammenfassung: Fachkräfte im Adoptions- und Pflegekinderwesen haben mit Klienten zu tun, die mit Brüchen im Leben konfrontiert sind: Adoptiveltern, die ihre ungewollte Kinderlosigkeit als Verlust erleben; leibliche Eltern, die sich von ihrem Kind trennen müssen und darunter leiden; Pflegeeltern, die versuchen, die seelischen Wunden der Kinder zu heilen und von den Fachkräften dazu bewegt werden müssen, dem Kind zuliebe eine konstruktive innere Haltung zur Herkunftsfamilie zu entwickeln und letztlich diejenigen, um die es in erster Linie geht: Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die den großen Schmerz des Verlassenseins in sich tragen, die Identitäts- und Loyalitätskonflikten, Ängsten, Schuldgefühlen und Mythenbildung belastet sind. Biografiearbeit (»Life story work«) mit Kindern und Jugendlichen gehört in den angelsächsischen Ländern bereits zu den Standards der Jugendhilfe, insbesondere der Pflegekinder- und Adoptionsdienste. Kinder, die Brüche in ihrer Biografie erlebt haben, erhalten konkrete Hilfe, ihre Geschichte und die Geschichte ihrer Herkunftsfamilie zu dokumentieren sowie die Gründe des Verlustes und der Trennung zu verstehen. In der Supervision mit sozialen Fachkräften im Jugendhilfespektrum sind Fragen der inhaltlichen Gestaltung von Biografiearbeit, die innere Haltung zu den Herkunftseltern, die Erfahrung von eigenen Grenzen und persönlichen »Stolpersteinen« immer wieder Thema.

Vater – Mutter unbekannt
Die schmerzliche Frage nach der eigenen Identität

in SYM, Magazin der evangelischen Akademie Bad Boll, Heft 4/2007, Bad Boll

Wer mit Vater und Mutter aufgewachsen ist, kann sich oft nicht vorstellen, welchen Leidensweg Menschen durchleben, die ohne einen oder beide leiblichen Elternteile groß werden. Der Schmerz, von der Mutter, vom Vater getrennt, verlassen, verstoßen worden zu sein, verbindet sich mit dem fehlenden Wissen um Aussehen, charakterliche Bausteine usw. Wer in Adoptiv-, Eineltern- oder Stieffamilien aufwächst, hat oft weit bis ins Erwachsenenalter an dieser tiefen Lücke zu tragen.

»Ich habe beim ersten bewussten Blick in den Spiegel keine vertrauten Züge meiner Eltern gesehen«, sagt eine heute erwachsene Adoptierte. Susanne Bongartz, ebenfalls adoptiert, schreibt in ihrem autobiografischen Roman »Der Tote von Passy«: »Ich habe, seit ich denken kann, immer ein Geschehen hinter den Fassaden vermutet. Die Faszination der Rätsel. Der Zwang, aus allem eine doppelte Bedeutung zu lesen, war überall.« In ihrem Buch »Niemandstochter, auf der Suche nach dem Vater«, beschreibt Sibylle Plogstedt, wie unerträglich es für sie ist, einen Niemand zum Vater zu haben. Sie schreibt ihm fiktive Briefe: »Mutti sagt, sie hätte dich nicht wirklich geliebt. Sie sagt, sie wäre immer auf die falschen Männer hereingefallen. Du warst auch so ein falscher.«

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In der Vergangenheit findest du die Zukunft

in Sozialpädagogische Impulse, Heft 2/2007, mbc-Verlag, Hollabrunn, Österreich

In Großbritannien gehört »Life story work« mit fremdplatzierten Mädchen und Jungen seit vielen Jahren zu den Standards der Jugendhilfe. Wichtige, oftmals unausgesprochene, Fragen werden beantwortet: Wo komme ich her? Wer ist meine Mutter, mein Vater? Wo sind meine Geschwister? Warum musste ich fort? Warum lebe ich hier? Was wird aus mir? ...

In der Biografiearbeit soll eine Dokumentation entstehen: Gedanken oder Gespräche verblassen oder werden umgedeutet. Was einmal »festgehalten« ist, hat eine andere Verbindlichkeit und Gültigkeit. Nicht nur für fremdplatzierte Mädchen und Jungen ist es wertvoll, bedeutsame Lebensereignisse zu ordnen und in das Leben zu integrieren. In jedem Kinderleben gibt es Einschnitte wie z. B. Kindergarten-, Schuleintritt, Geburt von Geschwistern, Umzüge, Trennung der Eltern, Wohnortwechsel, Migration, Trauerfälle, Krankheiten u. v. a. Durch die Darstellung von Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem werden für alle Kinder Nachreifungsprozesse angeregt. Schuleintritt, Geburt von Geschwistern, Umzüge, Trennung der Eltern, Wohnortwechsel, Migration, Trauerfälle, Krankheiten u. v. a. Durch die Darstellung von Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem werden für alle Kinder Nachreifungsprozesse angeregt.

Wer macht Biografiearbeit?
Am besten arbeitet eine nahe Bezugsperson wie z. B. Mutter, Vater, Großmutter, Großvater, Pflegemutter, Adoptivvater, BezugserzieherIn in Wohngruppen und Heimen u. a. m. mit dem Kind. Diese Menschen sollten sich in Gruppen schulen und beraten lassen. Auch Fachkräfte in Erziehungsberatungsstellen oder in Einrichtungen der Jugendhilfe, in Pflegekinder- oder Adoptionsdiensten können für Kinder deren Biografie dokumentieren. Wenn Kinder auf Krisenplätze kommen, kann Biografiearbeit die Brüche abmildern. Wer mit dem Kind biografisch arbeitet, muss verlässlich und einfühlsam sein. Er/Sie soll für das Kind verfügbar bleiben, und auch schmerzhafte Aspekte der Lebensgeschichte des Kindes mittragen, bis der gemeinsame Prozess zum Abschluss kommt. Eine therapeutische Ausbildung ist nicht erforderlich. Biografiearbeit kann aber gut in eine professionelle Psychotherapie eingebaut werden.

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Kinder mit zwei Familien – Eineltern-, Stief-, Patchwork-, Pflege- und Adoptivfamilie

Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe Wertvolle Kinder am 7. November 2006 in Bregenz.
Der ORF Radio Vorarlberg sendete eine Funkfassung des Vortrages am 3.Februar 2007 und wiederholte diese am 8. Februar 2007 im Rahmen der Sendereihe Focus. Sie ist jederzeit über Internetseite des ORF Vorarlberg abrufbar.

Die Trennung der Eltern stellt für Kinder eine existenzielle Erschütterung dar. Nach der Trennung spielt der abwesende Elternteil eine große Rolle und hat eine starke Wirkung auf die Seele des Kindes.

Für alle abwesenden Elternteile gilt: Wenn der abwesende Elternteil Wertschätzung erfährt, dann geht es dem Kind gut. ...

Pflegekinder sind nicht pflegeleicht

in pflegemamas&papas 03/2006, das Magazin für Pflegeeltern des Amtes für Jugend und Familie, A-1030 Wien.
Gabriele Vasak über ein Interview mit Irmela Wiemann

Pflegekinder tragen oft einen Rucksack mit schwerem seelischen Gepäck. Ihre Pflegeeltern haben eine schwierige, aber lohnende Aufgabe, betont Irmela Wiemann im Interview mit pflegemamas&papas.

Mit einem Pflegekind kommt meist ein kleiner Mensch ins Haus, der schon frühzeitig Traumatisierungen und Einsamkeit erfahren, Beziehungsabbrüche erlebt und möglicherweise Misshandlungen erlitten hat. Nur zu logisch also, dass diese Kinder sich ganz anders verhalten als solche, die immer in geborgenen Strukturen aufgewachsen sind. Pflegeeltern ist dies auf rein rationaler Ebene meist bewusst, doch im Alltag ist es manchmal gar nicht so einfach, einem solchen Kind gerecht zu werden. „Viele Pflegeeltern glauben, wenn sie ihrem Pflegekind von Anfang an Liebe, Halt und Ordnung geben, wird es sich sehr bald zu einem zufriedenen Menschen entwickeln. Das ist aber sehr oft nicht der Fall, denn diese Kinder tragen einen Rucksack voller emotionaler Lasten, der sich nicht so schnell abschütteln lässt“, weiß die Diplom-Psychologin und Familientherapeutin Irmela Wiemann, die seit rund 30 Jahren Pflegefamilien begleitet und selbst Pflegemutter und Autorin einiger wichtiger Bücher zu diesem Thema ist.


»Ihr habt mr nichts zu sagen« – Die großen Herausforderungen der Adoption

in Psychoscope, Heft 7/2006, Zeitschrift der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen FSP, Bern

Was macht die Adoption für Eltern und Kinder schwierig? Welche Probleme tauchen auf? Wie soll mit ihnen umgegangen werden? Diesen Fragen geht die Psychotherapeutin Irmela Wiemann nach und stellt insbesondere das Konzept der Biografiearbeit vor.

Viele Menschen gehen davon aus, das Aufwachsen eines adoptierten Kindes unterscheide sich nicht weiter vom Aufwachsen anderer Kinder auch. Schließlich hat dieser kleine Mensch alles, was er zu seiner Reifung und Entwicklung braucht: Emotionale Zuwendung, Bindung, elterliche Verantwortung, Familie, Eltern, die sich engagieren. Adoptiveltern und jene, die ihnen beratend oder therapeutisch zur Seite stehen, benötigen jedoch spezifische Kenntnisse über seelisch früh verletzte Kinder, Bindungsstörungen, Identitäts- und Loyalitätskonflikte. Oftmals ist therapeutische Hilfe für die annehmenden Eltern erforderlich, um mit den spezifischen Auffälligkeiten ihres Kindes leben zu lernen, Belastbarkeit und Einfühlung zu entwickeln. Eine wirkungsvolle Hilfe ist die Biografiearbeit. Sie ermöglicht adoptierten Kindern und Jugendlichen, ihre besondere Geschichte, ihre Herkunftseltern, ihre Adoptiveltern und sich selbst besser annehmen zu können. ...

Dürfen Eltern lügen?: Kleine Flunkerei

in Starke Eltern – Starke Kinder, Jahresheft 2006, Herausgeber: Deutscher Kinderschutzbund Bundesverband e.V., Stuttgart

Kleine Lügen – große Wirkung
Es war Ostern. Die Eltern wollten, dass ihr vierjähriger Paul sich vom Schnuller trennte. Sie schlugen ihm vor, seinen Schnuller dem Osterhasen zu schenken. So legte er diesen auf Anraten der Eltern hinter einen Baum und fand dort danach süße Ostereier. Am Abend verlangte er verzweifelt nach seinem Schnuller. Die Eltern sagten: »Du hast ihn doch selber dem Osterhasen geschenkt. Wir können ihn nicht zurückholen.« Paul blieb nichts anderes übrig, als ohne Schnuller einzuschlafen.

Keine Tränen, kein Protest. Am nächsten Tag kein Wort mehr. Ein Erfolg für die Eltern? Doch der »kleine Trick« bleibt nicht ohne Folgen, denn Eltern-Kind-Beziehungen ruhen auf vier Grundpfeilern: ...

Vorwort über die Bedeutung von Biografiearbeit

in Edith Engelhart-Haselwanter: Lebensbuch für Pflegekinder und Lebensbuch für Kinder, die im Kinderdorf leben, Bregenz, 2006
Verein Vorlberger Kinderdorf, Bregenz

Wer die Vergangenheit ängstlich verdrängt, wird kaum mit der Zukunft im Reinen sein ... A. Twardowskij

In meiner langjährigen beratenden und therapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Pflege- und Adoptivfamilien, Kinderdörfern und Einrichtungen der Jugendhilfe, war die Entdeckung der Biografiearbeit für mich ein ganz bedeutender Meilenstein. Erst Mitte der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts stieß ich auf einen amerikanischen Leitfaden für Pflege- und Adoptivkinder: The Book of Me, von Gail Folaron und Gill Chambers, Indianapolis, 1983. Auf dieser Vorlage basieren die meisten Materialien, die seit Mitte der achtziger Jahre in den Niederlanden, in Großbritannien und in den deutschsprachigen Ländern Europas entwickelt und erprobt wurden. ...

Früher Verlust familiärer Wurzeln und seelische Folgen

impu!se 50, März 2006, Hannover
Herausgeberin: Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e. V., Hannover

Adoptierte oder früh in Familienpflege gegebene Kinder führen zwei Leben: Eines mit ihrer emotionalen Familie, Alltag, Normalität – und eines voll seelischem Schmerz, von den eigenen Eltern fortgegeben worden zu sein.

Wir wissen aus der Säuglingsforschung, dass Neugeborene ihre Eltern an der Stimme, der Sprache, am Herzschlag und am Geruch erkennen. Neugeborene spüren und speichern den Verlust, den Bruch im Leben. Es gibt vielfältige seelische Folgen, z.B. lebenslange Selbstunsicherheit, Ängste vor neuer Trennung, Selbstzweifel und Selbstablehnung. Die in Schweden erstmals nachgewiesene hohe Rate von Suizid und Suizidversuchen bei ausländischen Adoptierten, oder der erhöhte Anteil von Adoptierten in der Psychiatrie sind deutliche Hinweise für die Störanfälligkeit von Menschen mit frühen Verlusten und Beziehungsabbrüchen. ...

Einträge: Adoption / Pflegekinder

in Raimund Pousset (Hrsg.): Handwörterbuch für Erzieherinnen und Erzieher
Cornelsen Verlag Scriptor, Berlin, 2007, 2. aktualisierte Auflage 2010

Ehemaliger Verlag: Beltz, Weinheim, 2006

Zusammenleben mit seelisch verletzten Kindern

Nachdruck einer älteren Fassung in mittendrin, Zeitschrift des Bundesverbandes behinderter Pflegekinder e.V., Papenburg, Hefte 5/2005 bis 2/2006

Frühe Deprivation (Entzug, Mangel), Trennungserfahrungen und traumatische Erlebnisse wirken lebenslang auf Menschen und beeinflussen ihr Bindungs-, Leistungs- und Sozialverhalten. Auch Kinder, die früh (z. B. mit einem Jahr) in eine Familie oder familienähnliche Lebensform vermittelt werden, sind oftmals durch frühe Traumatisierung (manchmal schon im Mutterleib) oder Deprivation geprägt. Das Zusammenleben kann auch mit diesen Kindern im Lauf der Jahre schwer werden. Dennoch gilt grundsätzlich die Regel: Je älter das Kind bei seiner Unterbringung, desto mehr Einfluss haben verschiedene typische Faktoren auf das Zusammenleben. ...

Interview: Biografiearbeit hat eine zentrale Bedeutung

ÖKO-TEST 7, 2005, Frankfurt am Main
ein Gespräch mit Gabi Haas im Rahmen des Dossiers: Adoptionen, ein besonderes Schicksal

ÖKO-TEST: Adoptionsfamilien sind konfliktanfälliger als Normalfamilien. Wo liegen die Hauptprobleme?

Wiemann: Es ist für die Beteiligten schwer, damit zu leben, dass es eine seelisch-soziale Elternschaft gibt, die nicht zugleich die biologisch-genetische ist. Und diese seelisch-soziale Elternschaft wird von den Kindern und Jugendlichen oft angezweifelt. Ich kenne Kinder von sechs oder acht Jahren, die sagen: »Ich gehe jetzt zum Jugendamt und hole mir neue Eltern.« Ihre Familie wurde schon einmal ausgetauscht, weshalb nicht wieder? Sie tragen viele Zweifel in sich. ...

Interview: Meine Eltern wollten mich nicht!

Psychologie Heute compact Heft 12, Familienleben, 2005, Weinheim
Nachdruck eines Gesprächs mit Thomas Saum-Aldehoff unter dem Titel: Adoptivkinder wissen genau, wo sie hingehören über Bindungen und Ängste in Adoptivfamilien und das Bedürfnis des Kindes, seine Herkunft zu erkunden: Psychologie Heute 5/1999

Biografiearbeit – Heilungschance für seelisch verletzte Kinder

aus: Restposten Pflegefamilie e.V., 24857 Fahrdorf:
Informationen, Berichte und Geschichten rund um das Pflegekinderwesen. (2004)

Warum Biografiearbeit? Biografiearbeit ist eine moderne Methode, Kindern und Jugendlichen bei der Rekonstruktion ihrer Vergangenheit zu helfen, verschwundene Angehörige und verschwundene Zeiten wieder zugänglich zu machen und so die seelische Reifung und Weiterentwicklung von Kindern und Jugendlichen zu fördern und ihnen das Gefühl zu vermitteln, ein kompletter, wertvoller Mensch zu sein. Das Erarbeiten der Biografie (griech. = Lebensbeschreibung) gibt den Kindern zumindest symbolisch ihre Geschichte, ihr Land, frühere Lebensorte, verlorene Familienmitglieder oder Vorfahren, zurück. ...

Vergangenes klären – Zukünftiges aufbauen.

aus ESPOIR-Bulletin, Herbst 2004

Was Kinder aus mehrfach belasteten Familien erfahren, wenn sie in eine Pflegefamilie kommen, und wie sie darauf reagieren, darüber berichtet die Psychologin und Familientherapeutin Irmela Wiemann.

Von der eigenen Familie getrennt, in einer neuen Familie zu leben, ist für jedes Kind ein Prozess, der enorme seelische Energie verbraucht. Und doch halten manche Jungen und Mädchen ihre Verzweiflung, ihre Verwirrung, ihre Ängste unter Verschluss und passen sich in der ersten Zeit an. Diese »Sonnenscheinphase« kann nicht anhalten. Ein seelisch verletztes Kind hat bestimmte Überlebensstrategien verinnerlicht. Mit der Zeit zeigt es auf vielen Ebenen des Fühlens und Verhaltens die Spuren der Vergangenheit. ...

Interview: Mit dem Kind gemeinsam den Schmerz aushalten

Netz 4/2004, Zürich
Das Interview über die besonderen Bedürfnisse von Pflegekindern führte Kathrin Barbara Zatti

Haben Pflegekinder andere Bedürfnisse als Kinder, die bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen können?

Ja, mit Sicherheit! Sie haben zum einen die Bedürfnisse, die alle Kinder haben: Tag und Nacht Versorgtwerden, Kommunikation, Halt. Aber sie haben eine ganze Reihe von zusätzlichen Bedürfnissen. Die Kinder fühlen sich von ihren Eltern alleingelassen und benachteiligt, und sie brauchen deshalb besonders viel Hilfe im Umgang mit ihrer schweren Ausnahmesituation. Man darf als Pflegeeltern nicht meinen, das Kind habe alles, was es braucht, weil man ja jetzt jeden Tag für das Kind da ist: Es hat nie alles was es braucht, denn um wirklich alles zu haben, bräuchte es noch seine leiblichen Eltern als seelisch-soziale Eltern. Die Kinder wollen in ihrem Kummer wahrgenommen werden – und das gehört in ihren Alltag. So könnte der Pflegevater zum Beispiel beim Gemüserüsten sagen: »Also wenn mir das passiert wäre, dass meine Eltern nicht hätten auf mich aufpassen können und ich hätte von ihnen weg gehen müssen, dann wäre ich aber manchmal ganz schön traurig«. Vielleicht antwortet das Kind nicht darauf, aber das spielt keine Rolle: Es geht darum, dass das Kind spürt, dass der Pflegevater etwas von seinen Gefühlen und seiner besonderen Situation verstanden hat. ...

Interview: Die Rollenklärung ist enorm wichtig

Interview zum Thema Patchwork-Familien, Kinder in Stieffamilien und Stiefkindadoption
Das Interview führte Bernhard Vetter für ZDFonline am 9. November 2004

Eine Patchwork-Familie wie »Die Albertis« ist gut fürs Fernsehen, weil es bei Ihr immer etwas zu erleben gibt. Turbulenzen gehören hier zum Alltag. Aber sind Patchwork-Familien auch gut fürs richtige Leben? Wie gehen Kinder mit den neuen Geschwistern und dem neuen Elternteil um?

ZDFonline: Frau Wiemann, für wen ist die Patchwork-Familie das größere Problem: Für die Erwachsenen, die sich mit den »fremden« Kindern des Partners herumschlagen müssen, oder für die Kinder, die plötzlich einen – zumindest subjektiv – neuen »Erziehungsberechtigten« haben?

Irmela Wiemann: Es ist sicher so, dass es eher für die Erwachsenen am Schwierigsten ist, weil sie sich häufig nicht ganz ihrer Rolle und ihres ‹Status› bewusst sind. Kinder können sich gut mit einer neuen Lebenssituation arrangieren, wenn sie spüren, dass die Erwachsenen im Reinen sind. Und für die Kinder ist das Wichtigste bei einer Patchwork-Familie, dass ihr anderer leiblicher Elternteil nicht verloren geht. Es gibt Forschungen, die sagen, es gibt sehr, sehr gute Aussichten für Stief- und Patchwork-Familien, wenn es einen uneingeschränkten Zugang zu dem anderen Elternteil der Kinder gibt. ...

Interview: Die Rückkehr von Pflegekindern in ihre Herkunftsfamilie

Der Österreichische Amtsvormund 182, 2004, Wien

Rückführungen sind nicht immer am Wohle des Kindes orientiert. Im Rahmen einer Weiterbildung im Colleg für FamilienPädagogik im März 2004 gab Irmela Wiemann, Familientherapeutin, Autorin und langjährige Expertin für Pflegekinder fachliche Orientierung, wann Rückführungen anzustreben sind und wie sie gelingen können. Das Interview führte Dr. Rosa Heim, die Leiterin des Collegs für FamilienPädagogik:

Heim: Was war ausschlaggebend, dass Sie sich mit dem Thema Rückführungen so intensiv beschäftigten?

Wiemann: Wenn man sich mit fremdplatzierten Kindern befasst, dann gehört das Thema Rückplatzierung dazu. Ich wurde als Fachfrau immer wieder hinzugezogen, wenn nicht klar war: Was ist für das Kind das Richtige? Leider erfahre ich auch von vielen Rückführungen, die nicht gelungen sind. Wir müssen immer abwägen: Was ist das höhere Gut für das Kind? In der eigenen Familie groß zu werden oder die langjährige Bindung in einer Pflegefamilie zu erhalten.  ...

Rezension: Durch Biografiearbeit das Selbstbewusstsein von fremdplatzierten Kindern stärken
(Karin Mohr, Klaus ter Horst: Mein Lebensbuch, Eylarduswerk e.V., Bad Bentheim, 2004)

Informationen für Erziehungsberatungsstellen 2/04, Fürth

Eine inzwischen unverzichtbare Methode, Heim-, Pflege- und Adoptivkindern bei der Bewältigung ihres Ausnahmeschicksals zu helfen, ist die Biografiearbeit. Sie ist eine Möglichkeit, Kindern und Jugendlichen bei der Rekonstruktion ihrer Vergangenheit zu helfen, die Gegenwart klarer einzuschätzen und so ihr Selbstvertrauen zu fördern. Biografiearbeit bedeutet immer, ein Produkt, eine Dokumentation zu erstellen. Gesprochene Worte gehen wieder verloren oder werden umgedeutet. Deshalb ist das schriftliche und optische Dokumentieren durch Schreiben, Malen, Ausfüllen von Vorlagen, das Einkleben von Fotos Bestandteil biografischen Arbeitens.

Karin Mohr und Klaus ter Horst vom Eylarduswerk, (ein Jugendhilfeverbundsystem in Bad Bentheim/Niedersachsen) haben optisch ansprechende, vorstrukturierte Materialien zur Biografiearbeit in „Mein Lebensbuch“ zusammengestellt und übertreffen in weiten Teilen die klassischen Ansprüche eines „life story books“, von dem es im angelsächsischen Raum eine Vielzahl von guten Vorlagen gibt: ein dicker Ordner mit bunten, nicht nummerierten Seiten aus griffiger Pappe. Die einzelnen Arbeitsblätter sind herausnehmbar und können nicht nur mit Kindern und Jugendlichen im Heim (hier liegt eindeutig der Schwerpunkt) sondern mit allen anderen Kindern bearbeitet werden, sodass ein großer Teil der Vorlagen für die Arbeit in Erziehungsberatungsstellen ausgesprochen gut geeignet ist.

Es gibt ein Begleitheft mit einer gut verständlichen Anleitung zur Handhabung des Materials. Hier wird auch darauf hingewiesen, wie wichtig es für die Kinder ist, nicht nur negative sondern auch positive Erfahrungen mit ihren Eltern zu dokumentieren: „Eltern und Kinder haben vor einer Fremdunterbringung eine gemeinsame Zeit gehabt, die schwierige, aber auch gute Phasen hatte.“ Die Haltung gegenüber den Eltern der Kinder bleibt bis auf kleine Ausnahmen im zweiten Teil konstruktiv und neutral, eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen der Biografiearbeit. ...

Diese Rezension bezieht sich noch auf die erste Auflage. Viele meiner Anregungen wurden in der aktuellen zweiten Auflage umgesetzt.

Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen – eine wirkungsvolle Hilfe zur Persönlichkeitsentwicklung

in Wo komme ich her – wo gehöre ich hin?
Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen in der Erziehungsberatung LAG für Erziehungsberatung in Hessen, EB-Kurier 2004, Frankfurt am Main

»Drum muss ich noch einmal zurück an so viele Orte, um mich wiederzufinden ...« Pablo Neruda, Der Wind, entnommen aus dem Roman »Porträt in Sepia« von Isabel Allende

Seit nun 25 Jahren begleite ich Pflege- und Adoptivfamilien und erfahre in der Arbeit mit dieser Zielgruppe immer stärker, von welch tiefer Bedeutung es für die Kinder und die Heranwachsenden und auch für die Erwachsenen ist, frühere Zeiten aus ihrem Leben zu erfassen, Zusammenhänge zu wissen und in das heutige Leben einzubauen. Das gilt nicht nur für fremdplatzierte Kinder sondern für alle Kinder, Heranwachsende und Erwachsene. Wer in sich selbst Vergangenheit und Gegenwart miteinander verknüpfen kann, bekommt ein anderes Wertgefühl für sich und für die Zeit. So ermutige ich inzwischen nicht nur Pflege- und Adoptiveltern sondern auch die meisten anderen Eltern, die sich wegen ihrer Kinder und Jugendlichen in der EB beraten lassen, mit ihrem Kind zusammen die Biografie und die Vergangenheit zu dokumentieren. Viele Kinder empfinden Verwirrung und Unklarheit über ihre Vorgeschichte. Viele Erwachsene erzählen dem Kind nicht genug oder geben nur Teilinformationen, die eher verwirren. Wenn Kinder spüren, dass sie und ihre Familie eine Geschichte haben, kommen sie mit sich und ihren Gefühlen besser in Kontakt. Die eigene Geschichte zu kennen, erweitert den Erfahrungsspielraum, vor allem, wenn es ungeklärte Fragen, Ereignisse in der Vergangenheit gab, wenn Zusammenhänge nicht eingeordnet werden können. Biografiearbeit schafft Klarheit und es fließt damit weniger Kraft in die Verdrängung und Verleugnung. Es werden oftmals Energien frei beim Kind, die zuvor gebunden waren. ...

Interview: Mut zur Wahrheit – Vom richtigen Zeitpunkt, offen und ehrlich zu reden.

Das Interview erschien in pflegemamas&papas 02/2004, dem Magazin für Pflegeeltern des Amtes für Jugend und Familie, 1030 Wien.

Welchen Stellenwert soll die Herkunftsfamilie meines Pflege- oder Adoptivkindes haben? Welche Probleme sind damit für das Kind verbunden? Und wie verhalten wir uns richtig? Pflegeeltern beschäftigen viele Fragen, die sich leibliche Eltern nie stellen müssen: Pflegemamas & Pflegepapas, das Magazin für Pflegeeltern, bat die Diplom-Psychologin und Buchautorin Irmela Wiemann zum Gespräch.

pflegemamas&pflegepapas: Was bedeutet den Pflegekindern ihre Herkunftsfamilie?

Irmela Wiemann: Die Kinder müssen damit leben lernen, auf der einen Seite leibliche Eltern zu haben, die ihnen das Leben schenkten. Dann gibt es da die seelisch-sozialen Eltern, bei denen sie jeden Tag leben. Hinzu kommt das Leid, dass sie Eltern haben, die bestimmte Dinge nicht konnten, die ihnen vielleicht auch sehr geschadet haben. Im Pflegekinderbereich haben wir oft Kinder, die misshandelt oder missbraucht worden sind. ...

Babyklappe und anonyme Geburt
Hintergründe – Kritik – Alternativen

LAG für Erziehungsberatung in Hessen, LAG-Info 23/2003, Frankfurt am Main

Die »Aktion Moses« aus dem bayrischen Amberg, eine Idee der katholischen Kirche aus dem Jahr 1999, beeindruckte auf den ersten Blick und gewann schnell an Popularität: Bevor Neugeborene ausgesetzt oder getötet würden, sollten »Mütter in Not« ihre Kinder lieber unerkannt – wie schon im Mittelalter – in einer Babyklappe straffrei abgeben oder einer ehrenamtlichen Helferin anonym übergeben dürfen. Wer wollte nicht dafür sein, wenn es um die Lebensrettung von Babys geht? Medien und Politik waren begeistert. Und alle Fraktionen im Bundestag waren sich einig! Kritische Stimmen wurden zunächst verständnislos zurückgewiesen. ...

Biografiearbeit mit fremdplatzierten Kindern und Jugendlichen – eine wirkungsvolle Hilfe zur Persönlichkeitsentwicklung

in Rosa Heim, Christian Posch (Hrsg.): Familienpädagogik. Familiäre Beziehungen mit Kindern professionell gestalten, Studienverlag, Innsbruck, 2003

Der fünfjährige Martin hat von seinen Pflegeeltern ein Album angefertigt bekommen, in dem Fotos vom Kinderheim und aus der Anbahnungszeit enthalten sind. Martin blättert gern in dem Album. Wenn sein Pflegevater dann zu ihm sagt: Und bis du drei Jahre alt warst, hast du bei deiner Mama gelebt. Kannst du dich noch an sie erinnern? Dann behauptet er, Lisa, eine Erzieherin aus dem Kinderheim sei seine erste Mama gewesen und zeigt dann deutlich: Kein Wort mehr zu diesem Thema. Er antwortet dem Pflegevater nicht mehr und fängt demonstrativ ein neues Thema an.

Weshalb kann Martin sich nicht an seine Mutter und sein leben vor dem Kinderheim erinnern? Wir haben es hier mit den Spätfolgen eines Traumas zu tun: Für Martin war die Mutter die einzige Bezugsperson, drei Jahre lebte er mit ihr in seiner vertrauten Umgebung. Auch wenn sie ihm nicht die Bindungssicherheit, nicht die notwendige Kommunikation zuteil werden ließ, so war er doch existenziell auf sie angewiesen, abhängig und verbunden. Das Verlassen der Wohnung, der Verlust der Mutter und der Tiere, der Umzug in das Kinderheim war ein so radikaler schmerzlicher Einschnitt in sein Leben, dass er ihn nicht ertragen und damit »vergessen« und verdrängen musste. ...

Adoption und Identitätsfindung

Vortrag auf der Fachtagung Babyklappe und anonyme Geburt – ohne Alternative? 27./28. Mai 2003 in Bonn
in terre des hommes (Hrsg.): Babyklappe und anonyme Geburt – ohne Alternative?, Osnabrück, 2003
Nachdruck in Hebammenforum 12/2003, Karlsruhe
Nachdruck in Elternheft Nr. 95, 2/03, Graz

Mit den leiblichen Eltern oder einem leiblichen Elternteil aufzuwachsen, ist in unserer Kultur selbstverständlich. Kinder sind Teil ihrer Verwandtschaft, letztes Glied von Generationen. Das Kind sieht jemandem in der Familie ähnlich, »es kommt auf den Vater, die Tante, die Großmutter oder ältere Geschwister heraus.« Über unsere Eltern, Großeltern, Geschwister, unsere Verwandten, (z.B. wem wir ähnlich sehen) definieren wir uns. Darüber hinaus wird unsere Identität bestimmt über Geschlechtsrolle, soziale Rollen, sozialen Status, Beruf, d.h. über Leistung und soziale Beziehungen, Normen und Werthaltungen. Durch seine Familie weiß ein Kind wie von selbst, wer es ist, bekommt es seine Besonderheit, seine Unverwechselbarkeit, seine Identität. ...

Biografiearbeit mit Kindern ausländischer Herkunft

in Tony Ryan, Roger Walker: Wo gehöre ich hin?, Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen, ab 2. Auflage, Juventa, 2003

Mai wurde mit drei Jahren in Vietnam zu deutschen Adoptiveltern vermittelt. Ihre Adoptiveltern wollen ihr ermöglichen, sich weiter in ihrer Landessprache zu unterhalten und besuchten von Anfang an häufig ein vietnamesisches Restaurant, das einer befreundeten vietnamesischen Familie gehört. Doch Mai spricht dort nie ein Wort vietnamesisch. Mit sechs erzählt sie einmal lächelnd, dass sie zwar jedes Wort versteht, es ihr aber unmöglich ist, ihre von früher vertraute Sprache wieder zu sprechen: »Ich gehöre doch jetzt zu Euch.« Nun erklären ihr die Adoptiveltern: »Obwohl du jetzt ganz und gar zu uns gehörst und wir dich lieben, bleibst du immer das Mädchen, das die ersten Jahre in Vietnam aufgewachsen ist. Du bist ein deutsch-vietnamesisches Kind und beide Länder gehören für immer zu dir.« Beim nächsten Kontakt mir der vietnamesischen Familie spricht Mai zunächst leise und vorsichtig und dann immer lebhafter in ihrer Herkunftssprache. Sie wirkt danach besonders gelöst und zufrieden.

Der Kontakt mit Menschen aus dem Herkunftsland des Kindes wühlt auf, erinnert das Kind an den radikalen Bruch im Leben, schmerzt und heilt zugleich. Mais selbst auferlegtes Verbot, die Sprache nicht zu sprechen, war der Versuch, ihren Schmerz unter Verschluss und ein Stück Ordnung in ihr Leben zu bringen: Darf sie als Kind der deutscher Adoptiveltern noch ihre alte Sprache sprechen? Erinnert die alte Sprache nicht an das Trennende zwischen ihr und ihren geliebten Eltern und gefährdet so ihre Sicherheit? Dabei zeigen die Adoptiveltern durch die Kontakte zur vietnamesischen Familie ihre Akzeptanz von Mais Herkunft und ihrer Vergangenheit. Die Adoptiveltern leisten hier ein Stück wertvolle Biografiearbeit und fördern Mais seelisch-soziale Entwicklung. Denn je weniger ein Kind von seiner Lebensgeschichte abspalten und verdrängen muss, um so lebendiger kann es durch sein Leben gehen. ...

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